🇩🇪 Gamification

Photo by Riho Kroll on Unsplash

🇩🇪 Gamification

Wie Konzepte und Techniken von Computerspiele andere Anwendungen beeinflussen werden

·

10 min read

Bis zum Jahr 2021 wird sich gegenüber dem Jahr 2016 laut TechNavio der Wert des Gamification-Markts verdoppeln [BUS]. Die Relevanz des Themas wird nicht nur durch die steigende Anzahl der akademischen Arbeiten über Gamification sichtbar, sondern spiegelt sich auch in den zahlreichen erfolgreichen Startups wider, die sich auf genau dieses Thema fokussieren [HKS14]. Aber was ist Gamification überhaupt und welchen Einfluss hat es auf Anwendungssoftware? Dieses Essay soll sich mit der Frage beschäftigen, welchen Einfluss die Konzepte und Techniken von Computerspielen auf andere Anwendungen haben.

Gamification ist ein sogenanntes Buzzword oder auch Modewort aus dem Englischen, das die Verwendung von Elementen aus Spielen in einem spielfremden Kontext bezeichnet [Seb+11]. Spiel ist hier als System definiert, in dem Spieler in einem künstlichen Konflikt aufeinander treffen [SZ04]. Mit Elementen aus Spielen sind die Charakteristiken gemeint, die ein Spiel ausmachen [Det+11]. Zu solchen spielerischen Elementen gehören zum Beispiel Fortschrittsanzeigen, Ranglisten, Auszeichnungen und Punktesysteme [RW15]. Zuletzt gilt es noch, den spielfremden Kontext zu definieren: Laut Deterding, Dixon u. a. ist dies jeder Kontext, der nichtspielerische Elemente verwendet oder im Designprozess verwendet hat.

Allerdings führt nicht jeder beliebige Einsatz von Game-Design-Elementen zur Gamification [Wer14]. Fortschrittsanzeigen zum Beispiel sind ein typisches Element in aktueller Anwendungssoftware, um den Nutzer ein Gefühl dafür zu vermitteln, wie weit die Anwendung bei der aktuellen Aufgabe schon fortgeschritten ist. Fortschrittsanzeigen in diesem Kontext sind also reine Informationsanzeigen für den Nutzer, die keinerlei Interaktion zulassen [Wer14]. Werbach schlägt daher folgende Definition vor:„the process of making activities more game-like” [Wer14, S. 6] — also Gamification als Prozess, Aktivitäten spielähnlich zu gestalten.

Das Ziel der Gamification ist laut Morschheuser, Hassan u. a., im Gegensatz zu herkömmlichen Spielen, nicht nur zu unterhalten, sondern auch das Verhalten zu ändern. Genauer gesagt ist das Ziel, durch kleine Motivatoren das Engagement beziehungsweise die Partizipation, Beharrlichkeit und Leistung zu erhöhen [RW15].

Um Gamification auf eine Anwendung anzuwenden, werden Elemente aus dem Game-Design auf die Aktivitäten der Applikation angewandt. Sailer, J. U. Hense u. a. beschreiben die typischen Game-Design-Elemente der Gamification wie folgt:

  • Punkte werden typischerweise fĂĽr den Abschluss bestimmter Aktionen innerhalb der Spielwelt vergeben und repräsentieren den Fortschritt des Spielers [WH12]. Es gibt verschiedene Arten von Punktesystemen wie zum Beispiel Erfahrungspunkte, einlösebare Punkte, Reputationspunkte, die verschiedenen Zwecken dienen [WH12].
  • Abzeichen als visuelle Repräsentation der Auszeichnungen, die in der Spielwelt verdient und gesammelt werden können [WH12]. Auszeichnungen werden fĂĽr einegewisse Punktzahl oder erfolgreich abgeschlossene Aktivitäten vergeben unddienen als virtuelle Statussymbole [WH12].
  • Ranglisten sind kompetitive Indikatoren, die die eigene Leistung mit den Leistungender anderen Spieler vergleichen [Sai+17]. Der durch Ranglisten erzeugte soziale Druck ist ein effektives Mittel, um das Engagement der Spieler zu erhöhen [Bur10].
  • Diagramme werden oft in Simulationen oder Strategiespielen verwendet [Sai+14] und vergleichen die eigene Leistung mit der eigenen Leistungen von vorhergehenden Läufen [Sai+17].
  • Bedeutungsvolle Geschichten — Durch einen erzählerischen Kontext kann eine eigentlich langweilige Aufgabe zu einem spannenden Abenteuer werden, die die Spieler motiviert und inspiriert [Nic15].
  • Avatare sind die visuelle Repräsentation eines Spieler-Charakters aus der Spielwelt [WH12]. Es gibt verschiedene Implementierungen, die von einem einfachen Profilbild bis hin zu einem animierten dreidimensionalen Charakter reichen [Sai+17].
  • Teams sind Gruppen aus echten Spielern oder Nicht-Spieler-Charakteren (engl. „Nonplayer character“, kurz. NPC), die das Verhalten von echten Spielern simulieren. Die Teammitglieder bilden ein Team, um zusammen ein gemeinsames Ziel zu erreichen [WH12].

Der Zweck dieser Elemente ist, den Spieler zu motivieren, bestimmte Aufgaben erfolgreich und mit Engagement zu erledigen. Der Begriff Motivation bezeichnet den Antrieb hinter dem Handeln, welches sich in der Entscheidung eines Einzelnen, sich für eine bestimmte Aktivität zu entscheiden und durch die Intensität und Beharrlichkeit, mit der diese verfolgt wird, äußert [RW15]. Den Game-Design-Elementen können
nun BedĂĽrfnisse zugeschrieben werden, die die motivierende Wirkung aus psychologischer Sicht beschreiben [Sai+14]. Sailer, J. U. Hense u. a. konzentrieren sich auf folgende BedĂĽrfnisse:

  • Das BedĂĽrfnis nach Kompetenz bezieht sich auf das GefĂĽhl von Effizienz und Erfolg während der Interaktion mit der Umgebung [Sai+17; VR13]. Punktesysteme, Diagramme, Abzeichen und Ranglisten können dieses GefĂĽhl vermitteln [Mei+14].
  • Das BedĂĽrfnis nach Autonomie beschreibt das GefĂĽhl, Entscheidungen aufgrund eigener Werte und Interessen zu treffen [DV03]. Das Wählen eines Avatars und bedeutungsvolle Geschichten können dem Spieler das GefĂĽhl der Autonomie vermitteln [RR11].
  • Das BedĂĽrfnis nach sozialer Verbundenheit stellt den grundlegenden Wunsch des Einzelnen nach der kohärenten Integration in ein soziales Umfeld dar [Sai+17; DV03]. Dieses BedĂĽrfnis kann sowohl durch eine bedeutungsvolle Geschichte als auch durch Teams aus Spielern oder Nicht-Spieler-Charakteren erfĂĽllt werden.

Immer häufiger wird der Begriff Serious Games mit Gamification in Verbindung gebracht [DS16]. Es gibt aber doch signifikante Unterschiede. Serious Games sind als Spiel von Grund auf entwickelt, finden also auch in einer virtuellen Spielwelt statt. Sie wurden nicht zum Zweck der Unterhaltung entwickelt, sondern um den Spieler etwas zu kommunizieren [DS16]. Häufige Anwendungsgebiete für Serious Games sind zum Beispiel das Personaltraining oder die Medizin. Von Gamification hingegen spricht man, wenn sich eine Anwendung, meist mit kommerziellen Hintergrund und spielerisch gestaltet, in einem spielfremden Kontext befindet.

Es gibt bereits viele erfolgreiche Beispiele der Gamification im Software- und Anwendungsbereich. Das bekannteste Beispiel ist wahrscheinlich mit über 10 Millionen registrierten Nutzern [Staa] die Internetplattform StackExchange. Sie bietet Nutzern die Möglichkeit, zu bestimmten Themengebieten Fragen zu stellen und Antworten zu geben. Fragen, Antworten und Kommentare können dann von Nutzern bewertet werden. Nutzer, die positive Bewertungen erhalten, zum Beispiel aufgrund einer hilfreichen Antwort, werden sogenannte Reputationspunkte (sog. „Reputation“) gutgeschrieben, mit denen man Funktionalitäten auf der Plattform (sog. „Privileges“) und Abzeichen für sein Profil (sog. „Badges“) freischaltet. Die Abzeichen und Reputationspunkte sind öffentlich und können auf Ranglisten und Profilen eingesehen werden, was automatisch zu einem sozialen Wettbewerb führt [Stab]. Weil dieses Prinzip so gut funktionierte, haben sich viele ähnliche Plattformen davon inspieren lassen [DT13]. So nutzt zum Beispiel die Plattform RedCritter ein ähnliches System für das Projektmangement, mit dem sich dann die Mitarbeiter firmenintern echte Belohnungen, wie zum Beispiel einen Getränkegutschein, verdienen können [Red]. CRM.me bietet eine komplette Customer-Relationship-Management-Softwarelösung an, also eine Software, um die Kundenbeziehungen zu verwalten, die sich das Prinzip Gamification intensiv zu nutze macht [Gra]. Hier gibt es Profile, Ranglisten, Auszeichnungen, Erfolgsserien, Aufträge und die Möglichkeit, echtes Geld, Eintrittskarten und Urlaubsfinanzierungen als Belohnung zu erhalten [Gra]. „My Starbucks Rewards“ von Starbucks Coffee Company ist ein Belohnungsprogramm, das Gamification nutzt, um die Kundenbeziehungen und Kundenbindung zu verbessern [CG14]. Nach dem Registrieren auf der Webseite, in der man seine persönlichen Daten angibt, erhält man eine kostenlose Starbucks-Mitgliedskarte [CG14]. Diese kann man mit vier US-Dollar aufladen, um das erste Level zu erreichen und ein Gratis Willkommensgetränk zu erhalten [CG14]. Wenn man die Karte dann weiterhin nutzt, um bei Starbucks einzukaufen, erhält man Punkte (sog. „Stars“), man steigt weitere Level auf und erhält mehr kostenloses Essen und Getränke [Stac].

Den Trend der letzten Jahre folgend wird das Thema Gamification vermutlich nicht an Attraktion verlieren. Nach den Berechnungen von Business Wire wird 2021 der Gamification-Markt einen Wert von 12 Milliarden US-Dollar erreichen [Bus]. Bereits heute wird das Konzept in vielerlei Plattformen und Software eingesetzt. Die Studien von Oulasvirta, Rattenbury u. a. zeigen, dass Nutzer ihre Handys über 30 mal am Tag mit einer Gesamtzeit von ungefähr drei Stunden benutzt haben [Oul+12]. Der Gedanke Gamification auf Smartphones einzusetzen, liegt daher nahe. Was einige Gehirntrainings-Anwendungen bereits machen, könnte auch für Produktivitätsanwendungen eingesetzt werden. Ein großes Anwendungsgebiet für die Gamification sehe ich in der Bildungsbranche: Insbesondere Online-Lernplattformen sind häufig monoton gestaltet. Meiner Meinung nach kann durch die Anwendung der Konzepte der Gamification nicht nur der Lernspaß, sondern auch die Langzeitmotivation gesteigert werden. In Zukunft werden auch sicher weitere Game-Design-Elemente entwickelt. Vorstellbar ist der Einsatz von Technologien wie Spracherkennung, sowie maschinelles Lernen und Sehen. Dank dieser können dann auch nicht nur einfache Aufgaben belohnt werden, sondern auch kreative Erzeugnisse bewertet und ausgezeichnet werden. Sicher werden auch die Virtuelle (engl. „Virtual Reality“) und erweiterte Realität (engl. „Augmented Reality“) eine große Rolle spielen.

Literatur

[Bur10] J. C. Burguillo. „Using game theory and Competition-based Learning to stimulate student motivation and performance“. In: Computers & Education 55.2 (2010), S. 566–575. issn: 03601315. doi: 10.1016/j.compedu.2010.02.018.
[Bus] Business Wire. Value of the gamification market worldwide in 2016 and 2021(in billion U.S. dollars). url: statista.com/statistics/608824/gamification..
(besucht am 01. 05. 2019).
[CG14] R. Conaway und M. C. Garay. „Gamification and service marketing“. In: SpringerPlus 3.1 (2014), S. 653. issn: 2193–1801. doi: 10.1186/2193–1801-3–653.
[Det+11] S. Deterding, D. Dixon, R. Khaled und L. Nacke. „From game design elements to gamefulness“. In: Proceedings of the 15th International Academic MindTrek Conference Envisioning Future Media Environments. Hrsg. von A. Lugmayr, H. Franssila, C. Safran und I. Hammouda. New York, NY: ACM, 2011, S. 9. isbn: 9781450308168. doi: 10.1145/2181037.2181040.
[DS16] A. Darejeh und S. S. Salim. „Gamification Solutions to Enhance Software User Engagement — A Systematic Review“. In: International Journal of Human-Computer Interaction 32.8 (2016), S. 613–642. issn: 1044–7318. doi: 10.1080/10447318.2016.1183330.
[DT13] D. J. Dubois und G. Tamburrelli. „Understanding gamification mechanisms for software development“. In: 2013 9th Joint Meeting of the European Software Engineering Conference and the ACM SIGSOFT Symposium on the Foundations of Software Engineering (ESEC/FSE). Hrsg. von B. Meyer, L. Baresi und M. Mezini. New York, NY: Association for Computing Machinery, 2013, S. 659. isbn: 9781450322379. doi: 10.1145/2491411.2494589.
[DV03] E. L. Deci und M. Vansteenkiste. Self-determination theory and basic need satisfaction: understanding human development in positive psychology. 2003.
[Gra] L. Gravity4 Software Holdings. CRM.me Gamification: Discover how CRM.me produces better business results through gamification. url: crm.me/gamification (besucht am 02. 05. 2019).
[HKS14] J. Hamari, J. Koivisto und H. Sarsa. „Does Gamification Work? — A Literature Review of Empirical Studies on Gamification“. In: IEEE 8th International Symposium on Service-Oriented System Engineering (SOSE), 2014. Piscataway, NJ: IEEE, 2014, S. 3025–3034. isbn: 978–1–4799–2504–9. doi: 10.1109/HICSS. 2014.377.
[Mei+14] S. A. Meijer, R. Smeds, J. Hense, M. Klevers, M. Sailer, T. Horenburg, H. Mandl und W. Günthner, Hrsg. Using Gamification to Enhance Staff Motivation in Logistics: Frontiers in Gaming Simulation. Springer International Publishing, 2014. isbn: 978–3–319–04954–0.
[Mor+18] B. Morschheuser, L. Hassan, K. Werder und J. Hamari. „How to design gamification? A method for engineering gamified software“. In: Information and Software Technology 95 (2018), S. 219–237. issn: 09505849. doi: 10.1016/j.infsof.2017.10.015.
[Nic15] S. Nicholson. „A RECIPE for Meaningful Gamification“. In: Gamification in education and business. Hrsg. von T. Reiners und L. C. Wood. Switzerland:Springer, 2015, S. 1–20. isbn: 978–3–319–10208–5. doi: 10.1007/978–3–319-10208–5_1.
[Oul+12] A. Oulasvirta, T. Rattenbury, L. Ma und E. Raita. „Habits make smartphone use more pervasive“. In: Personal and Ubiquitous Computing 16.1 (2012), S. 105–114. issn: 1617–4909. doi: 10.1007/s00779–011–0412–2.
[Red] RedCritter Corp. How it works. url: redcritter.com/howitworks.aspx (besucht am 01. 05. 2019).
[RR11] S. Rigby und R. M. Ryan. Glued to games: How video games draw us in and hold us spellbound. New directions in media. Santa Barbara, Calif, Denver, Colorado und Oxford: Praeger, 2011. isbn: 9780313362248
[RW15] T. Reiners und L. C. Wood, Hrsg. Gamification in education and business. Switzerland: Springer, 2015. isbn: 978–3–319–10208–5. doi: 10.1007/978-3–319–10208–5.
[Sai+14] M. Sailer, J. Hense, H. Mandl und M. Klevers. „Psychological Perspectives on Motivation through Gamification“. In: Interaction Design and Architecture(s) 19 (2014), S. 28–37. issn: 2283–2998.
[Sai+17] M. Sailer, J. U. Hense, S. K. Mayr und H. Mandl. „How gamification motivates: An experimental study of the effects of specific game design elements on psychological need satisfaction“. In: Computers in Human Behavior 69 (2017), S. 371–380. issn: 07475632. doi: 10.1016/j.chb.2016.12.033.
[Seb+11] Sebastian Deterding, Rilla Khaled, Lennart Nacke und Dan Dixon. „Gamification: Toward a Definition“. In: CHI 2011 Gamification Workshop Proceedings. Vancouver, BC, Canada, 2011.
[Staa] Stack Exchange Inc. Stack Exchange Overview. url: stackexchange.com/sites?view=list#questions.. (besucht am 01. 05. 2019).
[Stab] Stack Exchange Inc. What is reputation? How do I earn (and lose) it? url: stackoverflow.com/help/whats-reputation (besucht am
01. 05. 2019).
[Stac] Starbucks Coffee Company. Starbucks Rewards. url: starbucks.com/rewards (besucht am 06. 05. 2019).
[SZ04] K. Salen und E. Zimmerman. Rules of play: Game design fundamentals. Cambridge, Massachusetts und London: The MIT Press, 2004. isbn: 9780262240451.
[VR13] M. Vansteenkiste und R. Ryan. „On psychological growth and vulnerability: basic psychological need satisfaction and need frustration as an unifying principle“. In: JOURNAL OF PSYCHOTHERAPY INTEGRATION 3 (2013), S. 263–280. issn: 1053–0479.
[Wer14] K. Werbach. „(Re)Defining Gamification: A Process Approach“. In: Persuasive Technology. Hrsg. von D. Hutchison, T. Kanade und J. Kittler. Bd. 8462. Lecture Notes in Computer Science / Information Systems and Applications, Incl. Internet/Web, and HCI. Cham: Springer International Publishing, 2014, S. 266–272. isbn: 978–3–319–07126–8. doi: 10.1007/978–3–319–07127-5_23.
[WH12] K. Werbach und D. Hunter. For the Win: How Game Thinking Can Revolutionize Your Business. Chicago: Wharton Digital Press, 2012. isbn: 9781613630235.

Â